Ein einsames Herz geht schlafen
Wann werden die Tränen alle sein? Wundere mich oft,
dass ein Mensch so viel weinen kann ... .
Neben den Briefen von Gustav Lörzer folgen nun die Aufzeichnungen von Martha Lörzer - Briefe an ihren verschollenen Mann. Die Tragik der Situation ergibt sich vor allen Dingen aufgrund der Umstände in dieser schweren Zeit: Wie schon an verschiedenen Stellen auf diesen Seiten erwähnt, musste Gustav Lörzer davon ausgehen, dass seine Familie den Russen in die Hände gefallen war. Aber dem war nicht so - die Familie hatte es nach Lübeck geschafft.
Hintergründe von Ulrich Lörzer
Ulrich Lörzer beschreibt diese Tragik in seinen Lebenserinnerungen:
Ein weiterer Tatbestand ist erwähnenswert, der mir erst beim Schreiben dieser Zeilen so richtig zum Bewusstsein kommt und dessen Auslöser auch mit Tante Idchen, Papis zweitältester Schwester, zusammenhängt. Sie wohnte in Gumbinnen, zusammen mit ihrem zweiten Mann Willi Langanke. Als nun der erste Einbruch in Ostpreußen erfolgte, die Menschen der Region um Gumbinnen die ersten waren, die flüchten mussten, war das Ziel von Tante und Onkel unsere Wohnung in Neuhausen, die leer stand. Als auch hier die Gefahr zu groß wurde, konnte Papi, der bis Ende März im Kessel Heiligenbeil Dienst auf dem dortigen Fliegerhorst tat, seine Schwester aus Heiligenbeil noch ausfliegen lassen. Tante Idchen landete letztendlich in Grönwohld bei Trittau, in der Nähe des Sachsenwaldes in einem Lager. Die weiteren Zusammenhänge, wie sie hier hingekommen ist, sind mir nicht mehr geläufig. Auf jeden Fall hatte Papi ihre Adresse in Grönwohld erfahren - und schrieb ihr einen Brief, in dem er unter anderem sich dahingehend äußert, dass er seine Familie in Güstrow gesucht und nicht gefunden hat. Das Leben hat für ihn nun keinen Sinn mehr. Dieser Brief kam aus der Nähe von Berlin und besagte auch, dass er sich freiwillig zu den Fallschirmjägern gemeldet hat. Ganz offensichtlich geht aus den Zeilen hervor, dass er den Tod sucht, da er glaubte, seine Familie lebt nicht mehr. Tante Idchen hatte zwischenzeitlich aber über den Suchdienst unsere Adresse in Niederbüssau erfahren und sich bemüht, zu uns zu kommen. Das klappte. Sie fand ein Zimmer, man kann schon sagen, das gleiche Zimmer, wie wir es haben, nur ein Haus vor uns, in der Schleusenstraße 38, bei Familie Studier, glaube ich oder bei Seemann. Dieser Papis letzter Brief, wurde Tante Idchen nach Niederbüssau nachgeschickt.
Welche Aufregung, welche Hoffnung keimte in uns, besonders aber bei Mutti auf, als sie Post von ihrem Mann, der ja noch lebte, in den Händen hielt. Rückblickend möchte ich meinen, dass dieser Moment und die daraus nun erwachsenden Aktivitäten bei Mutti, mit die letzten in ihrem Leben gewesen sind, die sie so zeigte, wie sie war, ehe ihr Mann starb. Unter großer Eile und allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln, mit dem Willen, alle nur möglichen Werte zu geben, zu bezahlen, um ihrem Mann ein Lebenszeichen von sich und den Kindern zukommen zu lassen, eilt sie zu Fuß zum Flughafen Blankensee und möchte erreichen, dass ein Telegramm, ein Funkspruch an ihren Mann abgeschickt wird, der ihm sagt, dass seine Familie noch lebt. Die ganze Tragik liegt darin, dass der Brief am 18./19. April in Muttis Hände kommt, der Funkspruch am 20. April noch abgesetzt werden kann, Papi mit seiner Einheit just an diesem Tag bzw. einen Tag vorher zum Einsatz kommt, aus dem er nicht mehr lebend zurückkehrt. Ich möchte an dieser Stelle noch einmal einfügen: Papi musste nicht an die Front, am wenigsten hier vor Berlin. Er ist aus dem schwer umkämpften Ostpreußen herausgekommen. Er wollte ins Reich, suchte seine Familie und erst als er sie nicht da fand wo er sie vermuten konnte, fasste er den Entschluss, sich freiwillig an die Front zu melden. Als Todesdatum wird später der 21. April 1945 festgestellt. An dieser Stelle soll folgende Bemerkung angefügt werden, die mir Mutti noch am 15. Juni 1999 erzählte: Herr Mahnke, der im Stab von Hermann Göring Dienst tat, mittels Kuriers gute Kontakte und Verbindungen hatte, wusste wo seine Familie ist und damit auch, wo wir uns aufhielten. Herr Mahnke hat später gesagt - er hat den Krieg überlebt und ist zu seiner Familie gekommen, wir kennen ihn also aus Büssau und dann auch aus Eichholz - dass unser Vater bei ihm telefonisch angefragt hat, ob er nichts über unsere/seine Familie weiß. Er soll geantwortet haben, dass Papi sich noch etwas gedulden soll, er hat etwas zu tun, das für ihn Vorrang hat. Hier war noch einmal für unseren Vater ein Hoffnungsschimmer, der von einem Kameraden kläglich, mit schlimmen Folgen für uns alle, zunichte gemacht wurde. Mutti hat dieses Verhalten sehr verbittert. Zu Recht! Der Kontakt zu Mahnkes ist seit diesem Wissen sehr abgekühlt. Diese Version weiß ich aber nur von Mutti. Die Glaubwürdigkeit kann ich nicht kontrollieren.
Als für Mutti zur Gewissheit wurde, was sie lange zurückgedrängt hat, dass Papi wohl nicht mehr ihr Telegramm rechtzeitig erhalten hat, meine ich, dass ihr ab diesem Punkt klar geworden ist, welche Aufgaben, welche Sorgen und Probleme auf sie, auch durch uns Kinder verursacht, zukommen. Ab diesem Zeitpunkt, das weiß sie jetzt, wird sie kein privates Leben mehr führen können, das sie sich gewünscht hat. Kein Mann, keine Liebe, kein Geld, keine Wohnung, und fünf heranwachsende Kinder. Wie soll das nur zu schaffen sein! Ab diesem Zeitpunkt haben wir eine Mutter, die Eigenschaften hat, die - siehe eingangs - für uns Kinder manche Ungereimtheiten darstellen. Mag sein, dass meine Geschwister das etwas anders sehen. Ich bleibe bei dieser Ansicht. Mutti hat über dieses Thema nicht mit ihren Kindern gesprochen. Schade!
Welche Aufregung, welche Hoffnung keimte in uns, besonders aber bei Mutti auf, als sie Post von ihrem Mann, der ja noch lebte, in den Händen hielt. Rückblickend möchte ich meinen, dass dieser Moment und die daraus nun erwachsenden Aktivitäten bei Mutti, mit die letzten in ihrem Leben gewesen sind, die sie so zeigte, wie sie war, ehe ihr Mann starb. Unter großer Eile und allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln, mit dem Willen, alle nur möglichen Werte zu geben, zu bezahlen, um ihrem Mann ein Lebenszeichen von sich und den Kindern zukommen zu lassen, eilt sie zu Fuß zum Flughafen Blankensee und möchte erreichen, dass ein Telegramm, ein Funkspruch an ihren Mann abgeschickt wird, der ihm sagt, dass seine Familie noch lebt. Die ganze Tragik liegt darin, dass der Brief am 18./19. April in Muttis Hände kommt, der Funkspruch am 20. April noch abgesetzt werden kann, Papi mit seiner Einheit just an diesem Tag bzw. einen Tag vorher zum Einsatz kommt, aus dem er nicht mehr lebend zurückkehrt. Ich möchte an dieser Stelle noch einmal einfügen: Papi musste nicht an die Front, am wenigsten hier vor Berlin. Er ist aus dem schwer umkämpften Ostpreußen herausgekommen. Er wollte ins Reich, suchte seine Familie und erst als er sie nicht da fand wo er sie vermuten konnte, fasste er den Entschluss, sich freiwillig an die Front zu melden. Als Todesdatum wird später der 21. April 1945 festgestellt. An dieser Stelle soll folgende Bemerkung angefügt werden, die mir Mutti noch am 15. Juni 1999 erzählte: Herr Mahnke, der im Stab von Hermann Göring Dienst tat, mittels Kuriers gute Kontakte und Verbindungen hatte, wusste wo seine Familie ist und damit auch, wo wir uns aufhielten. Herr Mahnke hat später gesagt - er hat den Krieg überlebt und ist zu seiner Familie gekommen, wir kennen ihn also aus Büssau und dann auch aus Eichholz - dass unser Vater bei ihm telefonisch angefragt hat, ob er nichts über unsere/seine Familie weiß. Er soll geantwortet haben, dass Papi sich noch etwas gedulden soll, er hat etwas zu tun, das für ihn Vorrang hat. Hier war noch einmal für unseren Vater ein Hoffnungsschimmer, der von einem Kameraden kläglich, mit schlimmen Folgen für uns alle, zunichte gemacht wurde. Mutti hat dieses Verhalten sehr verbittert. Zu Recht! Der Kontakt zu Mahnkes ist seit diesem Wissen sehr abgekühlt. Diese Version weiß ich aber nur von Mutti. Die Glaubwürdigkeit kann ich nicht kontrollieren.
Als für Mutti zur Gewissheit wurde, was sie lange zurückgedrängt hat, dass Papi wohl nicht mehr ihr Telegramm rechtzeitig erhalten hat, meine ich, dass ihr ab diesem Punkt klar geworden ist, welche Aufgaben, welche Sorgen und Probleme auf sie, auch durch uns Kinder verursacht, zukommen. Ab diesem Zeitpunkt, das weiß sie jetzt, wird sie kein privates Leben mehr führen können, das sie sich gewünscht hat. Kein Mann, keine Liebe, kein Geld, keine Wohnung, und fünf heranwachsende Kinder. Wie soll das nur zu schaffen sein! Ab diesem Zeitpunkt haben wir eine Mutter, die Eigenschaften hat, die - siehe eingangs - für uns Kinder manche Ungereimtheiten darstellen. Mag sein, dass meine Geschwister das etwas anders sehen. Ich bleibe bei dieser Ansicht. Mutti hat über dieses Thema nicht mit ihren Kindern gesprochen. Schade!
Die Briefe
14. Juli 1945
Liebster Mann! Ich weiß zwar nicht ob Du jemals all’ meine Briefe lesen wirst. Trotzdem will ich mich wieder ein Weil-chen mit Dir unterhalten. Leider nur auf Papier.
Der 14. Juli ist heute, der Geburtstag unsrer ältesten Tochter, unsrer Dorle. Wie glücklich ich heute vor 9 Jahren war, weißt nur Du Papilein. Nach den 3 Jungs endlich eine Tochter. Meinen Mann hatte ich bei mir und war wunschlos glücklich. Bis dieser Unglück bringende Krieg kam. Da wurden wir wie-der getrennt und ich blieb mit meiner Kinderschar 1 Jahr alleine. Doch das hat man schon ertragen. Wusste ich Dich doch in unsrer Heimat Ostpreußen und die liebe Post lief täglich ein. Doch nun?? Seit meinem Geburtstag keine Zeile von Dir, lieber Mann, kein tröstendes Wort. Das ist bitter. Jetzt lebe ich noch in der Hoffnung, wir sehen uns wieder, es kann ja auch nicht anders sein. Das Leben wäre ohne Dich nicht auszudenken. Aber sollte Deine liebe Post ausbleiben, ich würde wohl nie mehr lachen, bis an mein Lebensende.
Das Leben müsste ich mit meinen Kindern hart anpacken. Es würde noch manch’ Träne fließen, wenn alles auf mich alleine einstürmt. Die Kinder sollen ja zu anständigen Menschen erzogen werden. Die Pläne, Papilein, die wir für unsere Kinder und die Zukunft schmiedeten, sind zerschlagen. Alles liegt am Boden, unsre Heimat, unser Vaterland. Alles könnte man ertragen und zu vergessen suchen, aber die Trennung von dem liebsten Menschen scheint unerträglich.
Was mir geblieben ist, sind Erinnerungen. Mit Dir, lieber Mann, habe ich seit meinem 17. Lebensjahr die schönsten Stunden und Jahre verlebt. Meine Jugend war sonnig und schön, unsre Ehe sehr sehr glücklich. Wir hatten uns eben zu lieb. Da ist dann die Trennung doppelt schwer.
14. August 1945
Mein heißgeliebter Mann!Ach Papichen, ein Monat ist vergangen und von Dir noch kein Lebenszeichen. Was werden mir die nächsten 4 Wochen bringen? Gott gäbe, es geschieht ein Wunder und wir finden uns. Wenn ich nur wüsste, dass Du lebst, mein lieber Mann. Ich wollte geduldig warten, doch diese Ungewissheit bringt mich um. Vielleicht warte ich so bis an mein Lebensende auf Dich, mein bester Kamerad. Das Leben scheint mir so oft wertlos, ich möchte auch nicht mehr weiterleben, den Tod fürchte ich nicht. Im Gegenteil, wüsste ich Dich, mein geliebter Mann von dieser Erde, ich möchte gerne sterben, um mit Dir vereint zu sein. Dann muss ich mir wieder sagen, ich habe die Kinder, Deine Kinder, Papilein. Ich muss für sie weiterleben. Muss sorgen und schaffen, denn sie kennen noch kein Herzeleid. Oft, wenn ich so alleine sitze mit meiner Handarbeit, denke ich nur an Dich, lasse die Gedanken wandern und sehe mich mit grauem Haar schon sitzen als Großmutter. Habe mehrere Enkel um mich versammelt und erzähle ihnen, wenn sie schon verständig sind, von ihrem Opapa, den sie vielleicht gar nicht gekannt haben. Werde ihnen sagen, wie lieb ich ihn hatte oder auch, wie lieb wir uns hatten. Dass ich, nach 14-jähriger Ehe ach, so alleine blieb, erst mit 6 Kinderchen und dann mit fünf. In einer schweren Zeit. Die Schläfen werden mir mit 35 Jahren grau.
Ich will ihnen Briefe vorlesen, die ich von Dir aufbewahrt habe. Aus jeder Zeile spricht die Liebe zu mir. Ich werde auf Dich warten Papichen, ewig. Alles andere verschmerze ich, unsre liebe Heimat, unser schönes Heim usw. Aber von dem liebsten Menschen getrennt werden, ist das Furchtbarste was mich treffen kann. Wären wir uns gegenseitig gleichgültiger, könnte man den Trennungsschmerz überwinden. Es ist seit dem 15. Oktober vorigen Jahres nicht ein Tag vergangen, an dem ich nicht geweint habe, geweint um Dich, liebster Mann. Wann wohl wird das ein Ende haben? Wenn es noch einen Gott gibt, er würde mein Gebet erhören. Wir brauchen Dich, liebes liebes Papichen. Bitte, bitte suche nach uns, täglich warte ich auf Dich.
16. August 1945
Geliebter Papi! Wieder sind 2 Tage um. Die Kinder und ich, auch Tante Idchen, sind Ähren sammeln gewesen. Wir sorgen etwas für den Winter vor. Ach ja, der Winter. Werde ich dann noch immer keine Nachricht von Dir, lieber Mann, haben? Es wäre zu furchtbar. Das Herz in der Brust tut mir immer weh, wenn hier in der Straße einer nach dem andern von den Soldaten aus dem Felde eintrifft. Nur ich warte vergebens. Jedes Mal, wenn der Hund unten anschlägt, hoffe ich, der Papi kommt. So vergehn die Wochen und Monate, man verlernt das Lachen. Sollte ich Dich nicht mehr wiedersehen, mein über alles geliebter Mann, ich möchte gerne weit weg von hier, mich irgendwo verkriechen mit den Kindern, an nichts mehr erinnert werden. Die Sehnsucht nach Dir ist zu groß. Ich lese täglich in Deinen Briefen, die mein ein und alles sind. Ich netze sie mit meinen Tränen, doch was hilft es. Sie werden davon mit der Zeit unleserlich und werden in späteren Jahren Zeugnis sein von meiner Liebe und Sehnsucht zu Dir. Ich schrieb Dir zu gerne lange liebe Briefe. Stoff dazu hatten wir immer, denn wir wussten uns viel Liebes zu sagen. Hätte ich geahnt, dass wir uns so verlieren, ich hätte bei Gott, Dir nur liebe gute Worte gesagt. Ich muss nun weiterleben und für die Kinder da sein. Aber froh werde ich erst dann wieder sein, wenn mir die Kinder zurufen: „der Papi ist da.“. Dann will ich auf die Knie fallen und Gott danken. Ich klammre mich an Deine Worte in den Briefen „wir werden uns einmal wiedersehen“ oder „dass wir uns wiedersehen, ist gewiss, nur wann dieses sein wird, kann ich Dir noch nicht sagen“. Liebes Papilein! Ich schreibe dieses an einem sonnigen Nachmittag. Die 4 Großen sind draußen und Eddachen schläft. Nur solch stille Stunden kann ich mir stehlen, um mit meinen Gedanken bei Dir zu sein. Es gehört mir ja sonst kaum ein Plätzchen. Nach dem Weinen ist mir dann ein wenig leichter und ich will weiter hoffen und warten auf meinen lieben Mann.
19. August 1945
Geliebtes Herz! Ein Sonntag ohne Dich geht zur Neige. Wie viele werden noch folgen? Ich bin unsagbar traurig, auch heute. Wann werden die Tränen alle sein? Wundre mich oft, dass ein Mensch so viel weinen kann. Denke dabei an unsre liebe verehrte Frau Wenghöfer, die auch so viel Leid durchgemacht hat. Ach Papichen, warum sind wir so auseinandergekommen? Warum haben wir nicht vor einem Jahr geahnt wie es mit unsrer Heimat werden wird. Warum sagte ich Dir nicht „Papichen, ich flüchte mit den Kindern bis Norddeutschland, bitte suche mich einmal dort“. Ja, warum, warum fragt man sich nun.
Liebes, liebes Papichen! Wenn Du lebst, und vor allem hier in Westdeutschland, dann hoffe ich noch immer, dass Du nach uns suchst und uns vielleicht auch findest. Werde ich noch einmal in meinem Leben glücklich sein, glücklich mit Dir, geliebter Mann? Wenn ich das nur erleben würde. Ich habe 5 Kinder zu erziehen und da fehlt unser Papilein doch so sehr. In 4 Wochen hast Du Geburtstag, wie werde ich den Tag ertragen, ohne Dich. Morgen schreibe ich mehr. Ich bin müde, oft gar Lebensmüde, doch ich muss weiterleben.
Gute Nacht. Deine traurige Putti
22. August 1945
Lieber, lieber Mann! Es ist fast Mitternacht. Die Kinder schlafen und ein Weilchen will ich mit Dir plaudern. Heut’ kam Post von Frau Schnaase. Alle haben sie von Dir gewusst, nur ich nichts. Es ist mir immer wieder so schwer, wenn ich denke, ich muss mein Lebtag mich mit quälenden Gedanken oder Vorwürfen plagen. Hätte ich Dir doch täglich auf der Flucht geschrieben, fünf Wochen lang. Wir hätten uns nicht so verloren und Du wärest evtl. jetzt schon bei uns. Ach Papilein, nie werde ich darüber hinwegkommen, nie. Wir haben uns so oft in schönen Stunden unterhalten, wie schön es noch sein wird, wenn wir die Kinder groß haben und selber schon alt sind. Uns gegenseitig vieler froh verlebter Stunden erinnern werden, und uns trotz vieler Jahre gemeinsamen Lebens noch so lieb haben wie am ersten Tage unseres Kennenlernens. Ja, Papilein, viel Liebes haben wir uns gesagt und ich will Gott bitten, dass er Dich uns wiederbringt. Wie will ich Dich pflegen und liebhaben. Dann werden wir das Jahr 1945 aus unserem Gedächtnis streichen. Ich wünsche und hoffe, es kommt für mich dieser heiß ersehnte Tag.
Deine Putti
24. August 1945
Geliebtes Papichen! 2 Tage sind um, es hat sich nichts Besonderes ereignet, leider. In einem Warten, Sehnen und Hoffen bleibe ich. Was wird mir die Zukunft bringen? Ob noch mehr Herzeleid? Ja, Papichen liebes, wenn ich ohne Nachricht von Dir bleibe, schaue ich wohl nur mit ernsten, traurigen Augen in die Zukunft. Werde Dich nie vergessen, mein lieber Mann. Ich glaube, wie im Traum werde ich umher gehen und immer nur an Dich denken. Es wird mich bis an mein Lebensende quälen, was aus Dir wurde, seit April 45. Ob Du evtl. in russische Gefangenschaft gekommen bist. Es wird mich niederdrücken und schmerzen, bis auch ich die Augen schließen werde. Die Kinder haben an unsre Luftschutzbetten unser Heim gezeichnet angebracht. Ein Stückchen Heimat schaut uns an, mit Wehmut und Trauer denke ich vergangener Tage. Wie wurde ich umhegt und verwöhnt von Dir. Wie lieb hatten wir uns doch. Wie gerne hatte ich meinen lieben lieben Mann. Könnte ich nur einmal noch in Papis Armen ruhen und an Deinem Herzen mich ausweinen. Nun kann ich nur hoffen und warten und Gott bitten, dass er uns ein Wiedersehen schenkt. Lieber lieber Mann, ich wäre der glücklichste Mensch und würde meinen, das Jahr 1930 wäre noch einmal. Ach, noch viel glücklicher wäre ich, denn die Zeit ist so ernst, die Sorgen groß und die Sehnsucht noch größer.
Gute Nacht
Ein einsames Herz geht schlafen
12. September 1945
Liebes Herz! Fast 3 Wochen habe ich nichts in mein Tagebuch geschrieben, was sollte ich wohl auch? Es ist manchmal besser, ich blättre nicht darin herum; mir ist das Herz schwer. – Herr Czogalla hat sich schon gemeldet, ach ja, das ist bitter für mich. Ich kann es nicht lange ertragen, ich weiß es. Wenn alle Hoffnung auf ein Wiedersehen dahin ist, fürchte ich das Erwachen am Morgen. Der Schlaf bringt mir wenigstens ein paar Stunden Vergessen. Wie oft möchte ich schreien vor Herzeleid und Weh, doch ich habe kein einsames Plätzchen und weine also ganz still mich nachts in den Schlaf. Ohne Dich, Papichen, ist das Leben tot und wertlos. Ich kann es nicht fassen, dass es so bleiben soll. Was fange ich nur an ohne meinen lieben Kameraden, meinen besten Berater und Freund? Oft habe ich das Bedürfnis ins Freie zu gehen, mich irgendwo ins Gras zu werfen und Deinen Namen zu rufen. Ob mein Sehnen und Weinen einmal erhört werden?? Es müsste Dich hierher führen. Heut’ war ich in Lübeck, hätte ich Dich doch auf der Suchstelle getroffen. Diesen Wunsch habe ich natürlich immer.
Nun gute Nacht, ich will noch im Bett an Dich denken und wünschte, Du wärest im Traum bei mir.
Deine traurige Putti
15. September 1945
Geliebter Mann, liebes Papichen! Übermorgen hast Du Geburtstag und wir haben noch keine Nachricht von Dir. Soll ich Dich wirklich verloren haben, Dich nie wiedersehn’?? Das Herz ist übervoll und ich würde so gerne Schmerz und Leid mit Dir teilen in dieser ernsten Zeit. Wir sind doch heimatlos. Wie werde ich mir die Zukunft gestalten, bin ohne Dich doch haltlos, liebster Papi. Klein-Eddachen tut mir oft leid. Sie will den Papi doch so liebhaben – wenn er kommt. Und wir warten. Fast ein Jahr sind wir getrennt, wer hätte das geahnt. Keine 10 Pferde hätten mich von Neuhausen wegbekommen. Doch nun hilft alles nichts. Wenn ich nur wüsste Du lebst, Papilein, ich will auf Dich geduldig warten. Doch wer wird mir das einmal sagen? Ach, ich bin so traurig und hoffe von Tag zu Tag, dass auch mir die Sonne noch einmal scheinen möge. Kann das Schicksal so hart mit uns sein?
Die Jungs sind Kartoffeln buddeln. Joachim ist besonders fleißig. Ach ja, die Kinder. Hätte ich sie nicht, wüsste ich was ich täte, wenn ich Gewissheit über das Schicksal meines Mannes hätte.
Deine Dich liebende Putti
17. September 1945
Mein innig geliebter Mann! Dein 43. Geburtstag ist heute. Seit vielen Jahren zum 1. Male, dass ich Dir nicht persönlich gratulieren konnte. Dich mit einem Kuss wecken konnte und Dich herzlich liebhaben darf. Dein Bild steht vor mir auf dem Tisch mit einem Blumenstrauß davor. Mehr kann ich leider nicht für Dich tun als in Gedanken bei Dir zu sein, Dich suchen unter vielen Gefangenen und Gott bitten, dass er uns zusammenführt.
Ich will diesen heutigen Tag zum kleinen Feiertag machen. Mit den Kindern nicht auf die abgegrasten Kartoffelfelder gehen. Mich nur mit dem Strickzeug hinsetzen und die Gedanken wandern lassen. Vom 1. Jahr unserer Ehe bis vor einem Jahr als wir Abschied nahmen, hoffentlich nicht für ewig. Ich würde mich zu Tode grämen. Noch, Papichen, lebe ich ja in der Hoffnung Du bist hier irgendwo im Westen und denkst an uns. Vom Russen will ich überhaupt nicht sprechen. Ich kann es einfach nicht glauben, dass Du beim Russen geblieben bist. Dann weiß ich, es gibt für uns kein Wiedersehn mehr. Ach Papichen liebes, ich trage schwer daran. Wenn Dich meine Gedanken und die Sehnsucht mit den Tränen herzögen, Du wärest sicher schon bei uns. Eddachen und ich unterhalten uns oft von Dir. Sie tut mir so leid, und man muss sich schon doppelt liebhaben, weil doch Papis Liebe fehlt.
Deine tieftraurige Putti
18. September 1945
Liebster Papi!Gleich am 18. will ich ein paar Zeilen niederschreiben. Es hat sich gestern Abend noch ein kleiner Hoffnungsstrahl in mein Herz gesenkt. – Mahnkes kamen, natürlich unbewusst, von wegen Papis Geburtstag. Sie erzählten mir, von Herrn Naujoks zu wissen, Du, liebes Papichen, könntest in amerikanischer Gefangenschaft sein. Im Raum Hannover-Braunschweig. Nun weiß ich nicht recht, soll ich mich freuen, mich schon freuen? Oder muss ich erst bestimmte Gewissheit haben über Dein Schicksal, mein lieber Mann? Ich möchte nicht zu sehr enttäuscht werden. Ich will weiter hoffen und warten. – Morgen soll die gewisse grüne Suchkarte nach Hamburg abgehen. Wenn ich doch nur ein Lebenszeichen von Dir hätte. In dieser Nacht träumte ich so nett von Dir. „Ach Papichen, ich habe Dich so lieb“. Darauf antwortetest Du: „Das ist schön, Muttichen und freut mich so“. Ich will hoffen, lieber Mann, dass diese Sätze noch einmal Wirklichkeit werden. Wie oft werde ich es Dir dann sagen, täglich, stündlich. Von dieser Hoffnung will ich zehren bis zum Wiedersehen.
– Deine Frau
27. September 1945
Geliebter Mann! Vor einer Woche schrieb ich Dir die letzten Zeilen. Von Dir noch immer kein Lebenszeichen, soll es so weitergehen? Die Ungewissheit nicht von mir genommen werden? Frau Czogalla hat wenigstens die Hoffnung, dass der Mann lebt, leider beim Russen. Und ich erfahre gar nichts, muss lange auf mein Papichen warten. Du pflegtest ja stets zu sagen „was lange dauert, wird endlich gut“. Ob ich mich, trotz dieser langen schweigenden Trennung, noch einmal meines Lebens freuen werde? Ich wünsche es mir so sehnsüchtig. Die Suchkarte an meinen „Kriegsgefangenen“ ist sicher schon in Hamburg. Wenn Du, liebster Mann, sie doch erhalten würdest. Ich gäbe wer weiß was darum. Sollte ich einmal erfahren, dass Du lebst und wo, liebes, liebes Papichen, ich käme Dich besuchen bis ans Ende der Welt, wenn nicht anders, dann zu Fuß. – Wie würden wir Dich liebhaben und pflegen, mein Papilein, wenn Du kämst. Doch leider leider warten wir noch immer vergebens. Darüber ist sehr traurig
Dein Puttilein
27. September 1945
Mein lieber Mann! Noch eine kleine Plauderstunde mit Dir, dann will ich mein Bett aufsuchen. An diese harte Lagerstätte habe ich mich schon gewöhnt. Oft denke ich, dieses ist alles nur ein böser Traum, von der Flucht angefangen bis jetzt. Ja, Mannchen, man müsste eines Tages erwachen und zuhause sein. Ach, „Zuhause“, ich habe dieses Wort großgeschrieben. Der Papi müsste vom Dienst kommen, wie wäre das schön. Ich glaube, ich kann gar nicht mehr lachen. Eddachen macht mir oft schon nach, dass ich auf all’ ihre Fragen nur „ja, ja“ sage. Bin also oft gar nicht mit den Gedanken hier. Wo können sie wohl anders sein als auf Wanderschaft, um Dich zu suchen. Doch wo?
Es ist ein bitteres Los, das uns blüht. Doch noch will ich nicht ganz verzagen, mein lieber guter Mann. Gott wird mein Gebet erhören und uns den lieben Papi wiederbringen. Nun gute Nacht, liebes Herz. Ach, könnte ich Dir persönlich gute Nacht sagen. Wie glücklich war ich doch einst.
Deine Frau
05. Oktober 1945
Liebes Herz!
Ehe ich unsere Lampe hier ausmache, leider ist’s kein Nachtlämpchen oder eine von meinen schönen Stehlampen, noch ein Gruß an Dich. Habe vorhin in Deinen Briefen gelesen und mich ausgeweint. Du schriebst mir nur liebe tröstende Worte nach Pommern und wir warteten und hofften so auf ein Wiedersehen. Wie weit ist doch dieses Wiedersehn in die Ferne gerückt. Ein ganzes Jahr ist seitdem vergangen und doch warte ich noch immer auf Dich, lieber Mann. Soll es wirklich alles zu ende sein? All’ unsre Sehnsucht und heißen Wünsche begraben sein? Ich kann und will es nicht glauben, dass ich alleine bleiben soll mit den Kindern. Alleine ohne Dich, und wir hatten uns doch so lieb. Stets schaute ich zu Dir auf, Du warst unser Alles und liebes Papilein, auf den wir stolz waren. Wieviel Tränen muss ich noch vergießen bis zum Wiedersehn. Gute Nacht!
Deine traurige Putti
Ehe ich unsere Lampe hier ausmache, leider ist’s kein Nachtlämpchen oder eine von meinen schönen Stehlampen, noch ein Gruß an Dich. Habe vorhin in Deinen Briefen gelesen und mich ausgeweint. Du schriebst mir nur liebe tröstende Worte nach Pommern und wir warteten und hofften so auf ein Wiedersehen. Wie weit ist doch dieses Wiedersehn in die Ferne gerückt. Ein ganzes Jahr ist seitdem vergangen und doch warte ich noch immer auf Dich, lieber Mann. Soll es wirklich alles zu ende sein? All’ unsre Sehnsucht und heißen Wünsche begraben sein? Ich kann und will es nicht glauben, dass ich alleine bleiben soll mit den Kindern. Alleine ohne Dich, und wir hatten uns doch so lieb. Stets schaute ich zu Dir auf, Du warst unser Alles und liebes Papilein, auf den wir stolz waren. Wieviel Tränen muss ich noch vergießen bis zum Wiedersehn. Gute Nacht!
Deine traurige Putti
20. Oktober 1945
Mein lieber Mann!
So habe ich Dich wohl in unzähligen Briefen angesprochen. Ich schrieb Dir auch Papichen. Wenn die Anrede auch nur drei Worte hat, wenn Du wüsstest, wie viel Liebe darin enthalten ist. Du freutest Dich damals über diese kleine Erklärung. Nun kann ich Dir nicht täglich schreiben.
Es ist Herbst geworden. Herbst auch in meinem Herzen, in meinem Leben. Im Frühling hoffte ich auf ein Wiedersehn, im Sommer doch spätestens, und nun ist der Herbst da. Die Bäume werden kahl, das gelbe Laub fällt ab. Auch in meinem Inneren ist es still und freudeleer. Die Hoffnung muss ich wohl begraben, es ist etwas zersprungen in mir. Ich will jetzt nicht nur hoffen und warten, sondern mich leider mit dem furchtbaren Gedanken abfinden, dass ich alleine bleibe. Alleine ohne Dich, liebster Papi. Ich darf ja nicht einfach mit dem erbärmlichen Leben Schluss machen, weil mich die Kinder brauchen. Ach, ist mir so sehr sehr traurig und trostlos dieses Ganze, und ich wäre manchmal froh, wenn ich nicht mehr leben würde. Wozu ist man überhaupt auf der Welt? Es ist doch alles so zwecklos. Man stößt sich in der Fremde herum und weint sich die Augen rot um den geliebten Papi, um den unvergesslichen Mann.
So habe ich Dich wohl in unzähligen Briefen angesprochen. Ich schrieb Dir auch Papichen. Wenn die Anrede auch nur drei Worte hat, wenn Du wüsstest, wie viel Liebe darin enthalten ist. Du freutest Dich damals über diese kleine Erklärung. Nun kann ich Dir nicht täglich schreiben.
Es ist Herbst geworden. Herbst auch in meinem Herzen, in meinem Leben. Im Frühling hoffte ich auf ein Wiedersehn, im Sommer doch spätestens, und nun ist der Herbst da. Die Bäume werden kahl, das gelbe Laub fällt ab. Auch in meinem Inneren ist es still und freudeleer. Die Hoffnung muss ich wohl begraben, es ist etwas zersprungen in mir. Ich will jetzt nicht nur hoffen und warten, sondern mich leider mit dem furchtbaren Gedanken abfinden, dass ich alleine bleibe. Alleine ohne Dich, liebster Papi. Ich darf ja nicht einfach mit dem erbärmlichen Leben Schluss machen, weil mich die Kinder brauchen. Ach, ist mir so sehr sehr traurig und trostlos dieses Ganze, und ich wäre manchmal froh, wenn ich nicht mehr leben würde. Wozu ist man überhaupt auf der Welt? Es ist doch alles so zwecklos. Man stößt sich in der Fremde herum und weint sich die Augen rot um den geliebten Papi, um den unvergesslichen Mann.
30. Dezember 1945
Lieber Kamerad!
Bevor das alte Jahr zu Ende geht, will noch etwas in mein Tagebuch schreiben. Morgen ist der letzte Tag dieses Jahres, dieses schreckliche qualvolle Jahr 1945 geht zu Ende, gottlob. Fast kann man es kaum erwarten, dass ein neues beginnt. Was hat es uns doch viel Tränen, Leid und Sorgen gebracht. Ich kann es gar nicht auf Papier wiedergeben. Mehr Leid könnte man fast nicht ertragen. Unser kleines Bienchen ist einen schrecklichen Tod gestorben, alles Hab und Gut musste man fluchtartig verlassen, und was mir so schwer am Herzen liegt, ich finde meinen lieben lieben Mann nicht, die Kinder ihren Papi nicht. Ach könnte ich dieses Jahr 1945 nur aus meinem Leben streichen. Wieviel Tränen wären uns erspart geblieben. Ein langes Jahr und drei Monate habe ich meinen Mann nicht gesehen, nicht gesprochen. Das Weihnachtsfest verlief still und freudleer. Die Kinder haben nichts vom Weihnachtsmann bekommen und sie sind zufrieden. Ich selber las in Deinen Briefen, lieber Mann, die du mir vor einem Jahr zum Fest gesandt hast. Mir war, als sprachst du zu mir. Du nanntest das Weihnachtsfest das Fest der Liebe und Freude. Von allem habe ich nichts gespürt. Doch nein, ich will nicht ganz verbittert sein. Ich habe die Kinder und muss Gott danken, wenn sie gesund bleiben. Meine Gedanken waren bei Dir, lieber Mann. Mit tränenden Augen denke ich Deiner. Wie Du wohl frieren und hungern wirst in einem Lager. Warum nur musste es so kommen? Vor einiger Zeit habe ich nun leider auch die Gewissheit, dass Du bei Berlin zum Einsatz kamst. Wie freudleer und traurig mir das Fest war, kann sich jeder vorstellen. Man spielt oft Theater, könnte schreien vor Herzeleid und muss sich doch beherrschen. Vielleicht, liebes Herz, sehen wir uns, trotz alledem, wieder. Ich will zu Gott beten, dass er Dir Gesundheit schenkt, Dich behütet, und du später zu uns findest. Die Heimat wartet auf Euch, ihr tapferen Soldaten. Auch wenn sie aus allen Wunden blutet. So ein kleines Fleckchen Erde nennt sich trotzdem Deutschland. Vor einem Jahr war ich auch schon von dir getrennt, doch ich wusste Dich in Sicherheit und wir hörten täglich voneinander.
Was uns das neue Jahr wohl bringen wird? Wieviel Wünsche und Hoffnungen nehmen wir mit hinüber. Wenn nur dieser eine einzige große heiße Wunsch doch in Erfüllung ginge, ich gäbe mein letztes bisschen Habe noch dafür her. Wie sehr ich an Dich denke und wie lieb wir unser Papilein haben, kann ich mit Worten nicht sagen. Ich will morgen um Mitternacht ein Gebet zu Gott senden und dann mit gläubigem Herzen dem anbrechenden Jahr entgegen schauen. – Vielleicht geschehen noch Wunder.
Bevor das alte Jahr zu Ende geht, will noch etwas in mein Tagebuch schreiben. Morgen ist der letzte Tag dieses Jahres, dieses schreckliche qualvolle Jahr 1945 geht zu Ende, gottlob. Fast kann man es kaum erwarten, dass ein neues beginnt. Was hat es uns doch viel Tränen, Leid und Sorgen gebracht. Ich kann es gar nicht auf Papier wiedergeben. Mehr Leid könnte man fast nicht ertragen. Unser kleines Bienchen ist einen schrecklichen Tod gestorben, alles Hab und Gut musste man fluchtartig verlassen, und was mir so schwer am Herzen liegt, ich finde meinen lieben lieben Mann nicht, die Kinder ihren Papi nicht. Ach könnte ich dieses Jahr 1945 nur aus meinem Leben streichen. Wieviel Tränen wären uns erspart geblieben. Ein langes Jahr und drei Monate habe ich meinen Mann nicht gesehen, nicht gesprochen. Das Weihnachtsfest verlief still und freudleer. Die Kinder haben nichts vom Weihnachtsmann bekommen und sie sind zufrieden. Ich selber las in Deinen Briefen, lieber Mann, die du mir vor einem Jahr zum Fest gesandt hast. Mir war, als sprachst du zu mir. Du nanntest das Weihnachtsfest das Fest der Liebe und Freude. Von allem habe ich nichts gespürt. Doch nein, ich will nicht ganz verbittert sein. Ich habe die Kinder und muss Gott danken, wenn sie gesund bleiben. Meine Gedanken waren bei Dir, lieber Mann. Mit tränenden Augen denke ich Deiner. Wie Du wohl frieren und hungern wirst in einem Lager. Warum nur musste es so kommen? Vor einiger Zeit habe ich nun leider auch die Gewissheit, dass Du bei Berlin zum Einsatz kamst. Wie freudleer und traurig mir das Fest war, kann sich jeder vorstellen. Man spielt oft Theater, könnte schreien vor Herzeleid und muss sich doch beherrschen. Vielleicht, liebes Herz, sehen wir uns, trotz alledem, wieder. Ich will zu Gott beten, dass er Dir Gesundheit schenkt, Dich behütet, und du später zu uns findest. Die Heimat wartet auf Euch, ihr tapferen Soldaten. Auch wenn sie aus allen Wunden blutet. So ein kleines Fleckchen Erde nennt sich trotzdem Deutschland. Vor einem Jahr war ich auch schon von dir getrennt, doch ich wusste Dich in Sicherheit und wir hörten täglich voneinander.
Was uns das neue Jahr wohl bringen wird? Wieviel Wünsche und Hoffnungen nehmen wir mit hinüber. Wenn nur dieser eine einzige große heiße Wunsch doch in Erfüllung ginge, ich gäbe mein letztes bisschen Habe noch dafür her. Wie sehr ich an Dich denke und wie lieb wir unser Papilein haben, kann ich mit Worten nicht sagen. Ich will morgen um Mitternacht ein Gebet zu Gott senden und dann mit gläubigem Herzen dem anbrechenden Jahr entgegen schauen. – Vielleicht geschehen noch Wunder.
10. Februar 1946
Liebes Herz
Dieses sind die ersten Zeilen im neuen Jahr an Dich. Ich denke täglich und stündlich Deiner, nur fehlen mir die Worte zum Niederschreiben. Verzeihe mir, ich kann’s einfach nicht. Ich werde alt und still und ernst. Den Frohsinn und wenig Übermut, den Du an mir so gern sahst, ist wohl verschwunden, einfach verlernt. Wie sollte ich auch? Das Leben geht weiter, die Monate vergehn und Deine liebe, heiß ersehnte Post bleibt aus. Ich sehe meinen kommenden Lebensweg so ernst und sorgenvoll und traurig vor mir. Ach, wäre ich nur schon alt und hätte alles hinter mir. Die Kinder werden mich dann nicht mehr brauchen. Nach vielen Jahren werde ich sowieso alleine sein, ganz alleine. Wer steht mir bei in diesem armseligen Erdenleben? Warum muss ich so viel leiden, so alleine bleiben mit meinen Kindern? War ich schlechter als andere Frauen, die ihre Männer bei sich schon haben? Wie oft frage ich nun - warum?
Ich werde Dich nie vergessen Papichen
Dieses sind die ersten Zeilen im neuen Jahr an Dich. Ich denke täglich und stündlich Deiner, nur fehlen mir die Worte zum Niederschreiben. Verzeihe mir, ich kann’s einfach nicht. Ich werde alt und still und ernst. Den Frohsinn und wenig Übermut, den Du an mir so gern sahst, ist wohl verschwunden, einfach verlernt. Wie sollte ich auch? Das Leben geht weiter, die Monate vergehn und Deine liebe, heiß ersehnte Post bleibt aus. Ich sehe meinen kommenden Lebensweg so ernst und sorgenvoll und traurig vor mir. Ach, wäre ich nur schon alt und hätte alles hinter mir. Die Kinder werden mich dann nicht mehr brauchen. Nach vielen Jahren werde ich sowieso alleine sein, ganz alleine. Wer steht mir bei in diesem armseligen Erdenleben? Warum muss ich so viel leiden, so alleine bleiben mit meinen Kindern? War ich schlechter als andere Frauen, die ihre Männer bei sich schon haben? Wie oft frage ich nun - warum?
Ich werde Dich nie vergessen Papichen
Historische Einordnung
Ulrich Lörzer schreibt in seinen Lebenserinnerungen zu diesen Briefen:
Hier enden die Aufzeichnungen unserer Mutter. Bewegende Worte, die von einer unendlichen Liebe zeugen, die sie mit ihrem Mann verband. Sie hat über ein Jahr die Hoffnung auf eine Wiederkehr ihres Mannes nicht aufgegeben. Wir Kinder, alle, haben diese ihre Sorgen, Nöte, Hoffnungen, Träume, die vielen heimlichen Tränen, ja auch ihre verweinten Augen, nicht zur Kenntnis genommen. Das ist bei Kindern wohl so, die ungetrübt in die Zukunft schauen.
Ganz bestimmt aber hätten wir im Laufe der Jahre mehr Fragen an Mutti bezüglich unseres Vaters stellen sollen und müssen. Mit ihren riesigen Sorgen und Nöten hat Mutti ein langes Leben geführt, ist hochbetagt gestorben - und hat viele Träume, viele unbeantwortete Fragen mit ins Grab genommen. Allerdings ist sie mit einer Gewissheit von uns gegangen: Alle ihre Kinder sind wohlbehalten durch das Leben gegangen, sind über viele Jahre weitgehend von Krankheiten verschont geblieben. Sie haben alle - bis auf unsere Jüngste, Edda, die ja erst 1942 geboren wurde – schon das 70. Lebensjahr erreicht. Mutti ist nicht alleine geblieben. 9 Enkel und 9 Urenkel (inzwischen sogar 10) werden für den Fortbestand der Familie sorgen. Und keines ihrer Kinder ist auf der schiefen Bahn gelandet, keines ist arm, keines muss hungern.
Beim Lesen und Schreiben hat mich immer wieder fasziniert, dass sowohl Papi als auch Mutti sich nicht ein einziges Mal verschrieben haben, nicht einmal ein Wort durchgestrichen haben - und das bei ihren Emotionen, ihren Gefühlen, die sie während des Schreibens bewegt haben.
Ganz bestimmt aber hätten wir im Laufe der Jahre mehr Fragen an Mutti bezüglich unseres Vaters stellen sollen und müssen. Mit ihren riesigen Sorgen und Nöten hat Mutti ein langes Leben geführt, ist hochbetagt gestorben - und hat viele Träume, viele unbeantwortete Fragen mit ins Grab genommen. Allerdings ist sie mit einer Gewissheit von uns gegangen: Alle ihre Kinder sind wohlbehalten durch das Leben gegangen, sind über viele Jahre weitgehend von Krankheiten verschont geblieben. Sie haben alle - bis auf unsere Jüngste, Edda, die ja erst 1942 geboren wurde – schon das 70. Lebensjahr erreicht. Mutti ist nicht alleine geblieben. 9 Enkel und 9 Urenkel (inzwischen sogar 10) werden für den Fortbestand der Familie sorgen. Und keines ihrer Kinder ist auf der schiefen Bahn gelandet, keines ist arm, keines muss hungern.
Beim Lesen und Schreiben hat mich immer wieder fasziniert, dass sowohl Papi als auch Mutti sich nicht ein einziges Mal verschrieben haben, nicht einmal ein Wort durchgestrichen haben - und das bei ihren Emotionen, ihren Gefühlen, die sie während des Schreibens bewegt haben.
Weitere Links
- Die Oma unterwegs : Martha Lörzer schreibt an ihre Kinder und verfasst einen Reisebericht, August 1956
- Versuch einer Annäherung - Über meinen Großvater Gustav Lörzer
- Flucht aus Ostpreussen
