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Das traurige Schicksal von Erwin und Lothar Wiemer

Manchmal kommt ein Brief von weitem her. Ein Stern erlischt ...
... und all die wohlverwahrten Tränen, tropfen ungeweint ins Meer.

– Meta Lörzer (aus dem Gedicht "Alle Mütter")

Erwin und Lothar Wiemer

Erwin (1920-1944) und Lothar Wiemer (1926-1945) waren die Söhne von meiner Großtante Meta Wiemer (1900-1989) geb. Lörzer und Georg Wiemer (1890-1950). Ihr Schicksal steht hier stellvertretend für so viele tausende junger deutscher Soldaten, die während des 2. Weltkrieges einen sinnlosen Tod starben. Die Erläuterungen und Dokumente auf dieser Seite mögen eine Mahnung dafür sein, dass so eine Zeit nicht wiederkommen darf. Erwin Wiemer starb im August 1944 bei Riga. Lothar Wiemer galt als verschollen. Trauer und lähmende, quälende Ungewissheit gehörten zu einem Alltag, den wir uns heute gar nicht mehr vorstellen können.


Seit ich mich mit dieser Ahnendokumentation beschäftige war mir klar, dass eine Dokumentation des Schicksals dieser beiden jungen Menschen ganz besonders sein würde. Vor allen Dingen aber auch das Leid und die quälende Ungewissheit, die die Eltern der beiden haben durchleiden müssen. Meta Wiemer (1900-1989), geb. Lörzer hat darüber hinaus nicht nur beide Söhne, sondern auch vier Brüder verloren, die Heimat und auch der Ehemann starb wenige Jahre nach Krieg.

Dieses Schicksal finde ich deshalb so bewegend, weil es so viele Fragen aufwirft, die ich im Anschluss an diese Dokumentation gerne erläutern möchte.

Über die beiden Menschen kann ich nicht viel sagen, da außer dem einen Foto, welches die beiden in Uniform zeigt, wenig bekannt ist. Es sind also keine fassbaren Charaktere für mich - lediglich einige der Beschreibungen in den folgenden Dokumentationen geben Aufschluss über diese Menschen. Aber was sagen solche Urkunden schon aus?

Erwin Wiemer GeburtsurkundeErwin Wiemer Geburtsurkunde Beförderung Erwin Wiemer Lothar Wiemer GeburtsurkundeLothar Wiemer Geburtsurkunde Lothar Wiemer GeburtsurkundeLothar Wiemer Konfirmation

Diese Dokumente aber - bei denen man sich besonders bei dem ersten Schreiben vorstellen muss, wie sich Eltern gefühlt haben müssen, die so ein Schreiben bekommen - dokumentieren den Tod von Erwin Wiemer:

Todesmitteilung Feldlazarett 1/2Todesmitteilung Feldlazarett 1/2 Todesmitteilung Feldlazarett 2/2Todesmitteilung Feldlazarett 2/2 Mitteilung des DRKMitteilung des DRK Mitteilung zur BestattungMitteilung zur Bestattung

Ich finde eines sehr bemerkenswert: auf der ersten Seite der Todesmitteilung wird das Wort "Führer" durchgestrichen. Ich weiß leider nicht, wer diese farblichen Anmerkungen gemacht hat. Vielleicht sollte das nur hervorgehoben werden, wenn da nicht noch das Fragezeichen hinter dem Wort "Fahneneid" gesetzt wäre. Nach einem Satz, der Eltern wie eine Verhöhnung vorkommen muss.

Wie schlimm muss es dann gewesen sein, als man irgendwann von dem jüngeren Sohn Lothar nichts mehr gehört hat. Wenn zu der tiefen Trauer, zur Vorstellung des Leids eines solch schlimmen Todes jetzt noch die Ungewissheit dazu kommt. Und die Ungewissheit hält an und an. Und sie wird auch durch diese vielen Schreiben von Kameraden leider nicht aufgelöst wird. Fakt ist, dass das Schicksal von Lothar Wiemer nicht vollständig geklört ist. Bei "Ancestry" ist ein Tod bei Heiligenbeil in Ostpreußen in der Endphase der russischen Offensive am wahrscheinlichsten ist.

Die Wiemers haben aber nichts unversucht gelassen, über verschiedene Kontaktmöglichkeiten, insbesondere Kameraden von Lothar Wiemer, die den Krieg überlebt haben, an Informationen zu kommen. Einige davon stelle ich hier ohne Kommentierung rein - es gibt hier leider kein Happy End.

Wo ist Lothar Wiemer?Wo ist Lothar Wiemer? Wo ist Lothar Wiemer?Wo ist Lothar Wiemer? Wo ist Lothar Wiemer?Wo ist Lothar Wiemer? Wo ist Lothar Wiemer?Wo ist Lothar Wiemer?

Ein endgültiges Ende findet die Unbestimmtheit formal im Juni 1974, als Lothar Wiemer für tot erklärt wird. Kleine Anmerkung: Das Datum, an dem dies rechtskräftig wird ist ausgerechnet mein Geburtstag :-)

Was macht so ein Leid mit den Menschen, die zurückbleiben? Meine Begeisterung für die Gedankenwelt von Meta Wiemer, die in ihren Notizen "Zuhause" einiges davon preisgibt, vor allen Dingen aber ihre Gedichte, wird mit dieser Dokumentation der Umstände noch stärker. Eine Mutter, die der Nachwelt dann "Verzage nicht" als poetischen Wegweiser hinterlässt und damit ihren Großneffen, den sie nie kennengelernt hat, begeistern kann - das ist etwas Besonderes. Vielleicht können Sie sich auch für ihre Gedanken begeistern?

Aber zurück zu den Fragen, die sich hier auftun und die geradezu eine tiefergehende Beschäftigung, eine Suche nach Antworten verlangen:

  • Meta und Georg Wiemer fliehen ebenfalls nach Lübeck. In Lübeck angekommen zu sein, war ein sehr glücklicher Umstand, denn von all den großen Städten hat es Lübeck zwar auch hart getroffen, aber es hat dort bei weitem nicht eine Einäscherung wie in Hamburg, Berlin, Köln oder Dresden stattgefunden. Lübeck war die erste norddeutsche Stadt, die von britischen Bombern 2x flächendeckend bombardiert wurde. Das war bereits 1942. Danach wurde die Stadt halbwegs verschont (nicht jedoch das Umland) - Lübeck wurde das Zentrum der Rückführung britischer Soldaten in die Heimat. Das bedeutet, dass man dort als Flüchtlng auf halbwegs intakte Strukturen traf, die sich 1945 bereits nach drei Jahren gebildet hatten. Die Wiemers hatten eine Unterkunft, waren - laut den Lebenserinnerungen von meinem Onkel Ulrich - gut situiert und Georg Wiemer fand schnell eine Arbeit als Zollinspekteur. Was macht das mit solchen Menschen, die erleben, dass die Welt nach dem ausgebliebenen Endsieg eben doch nicht untergeht?

  • Was macht es mit diesen Menschen, wenn sie sehen, wie die Nichten und Neffen aufwachsen und eine Zukunft vor sich haben?

  • Was macht es mit solchen Menschen, wenn sie sich fragen "Wofür?" Wofür starben meine beiden Söhne? Auf dem Altar des Vaterlandes? Für den Führer?

  • Was macht es mit solchen Menschen, wenn sie dann erfahren, wie sich die übriggebliebenen Verantwortlichen bei den "Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen" aus der Verantwortung stehlen und sich als feige Befehlsempfänger stilisieren. Hermann Göring hat während der Prozesse gesagt: "Ich habe kein Gewissen. Mein Gewissen heisst Adolf Hitler ..." - Wären die beiden Söhne der Wiemers auch nur ein bisschen feige gewesen - vielleicht hätten sie dann auch eine Zukunft gehabt.

Diese Fragen fordern nach Antworten. Aber noch viel wichtiger ist die instinktive Formulierung der Fragen und deren Ausarbeitung. Ich beginne die Fragen mit "Was macht es ..." - Was ist "Was"? Und was ist "es"? Ich weiß0 es nicht, ich glaube nur, dass es da mehrere Definitionen gibt. Und mein Notizbuch füllt sich mit Eingebungen zu diesem Thema und diese werden noch in eine Form gebracht werden müssen ...